Im zukünftigen Moment sein

Achtsamkeit ist, nach meiner spontanen Definition, die Fähigkeit, im aktuellen Moment das Wesentliche zu fokussieren und alles Andere in den Hintergrund treten zu lassen. Sie ist also ein Phänomen der Gegenwart. Allerdings bringen mich neue Erfahrungen zu der Auffassung, dass  Achtsamkeit auch in die Zukunft wirken kann.  Ein Beispiel:

Kürzlich stellte mir im Unterricht eine Schülerin die Frage, was eigentlich Gegenstand der Klausur sei, die wir ja in Kürze schreiben würden. Ich war in Gedanken bei einem anderen Thema und sagte ihr nur kurz, ich würde ihr in der nächsten Stunde dazu mehr Informationen geben. Dann vergaß ich den Vorgang in der Hektik des Schultags bis – zum Freitagabend kurz vor dem Einschlafen im Bett…

Es begann mit dem Bild aus der Klasse, das mir wieder in den Kopf schoss, ich hörte wieder die Stimme der Schülerin, dann einen Moment Leere und kurz darauf meine eigene anklagende Stimme: „Mein Gott! Welch erbärmlichen Anfängerfehler hast du da nur gemacht. Du unterrichtest ins Blaue hinein und kümmerst dich überhaupt nicht darum, was für deine Schüler klausurrelevant ist. Da hast du den Salat, wie soll das nur gut gehen, das schaffst du nie, …“ Mein Körper reagierte im selben Moment mit ausbrechendem Schweiß und Magendrücken. Der klassische Einstieg ins  Drehbuch einer durchwachten Nacht mit unproduktiven Gedankenspiralen auf zerwühlten Kissen.

Noch vor wenigen Monaten wäre dieses Szenario unabwendbar gewesen. Nun ging ich wie folgt vor: Ich konzentrierte mich zunächst auf meinen Atem und signalisierte meinem Körper mit jedem Ausatmen, sich langsam wieder zu entspannen. Das funktionierte nach kurzer Zeit so weit, dass ich wieder klar denken konnte. Ich analysierte kurz die Situation, zunächst Richtung Vergangenheit: Tatsächlich, Ich hatte einen Fehler gemacht. Dann fokussierte ich kurz die Zukunft, zunächst die zwei Wochen bis zur Klausur und die mir in dieser Zeit zur Verfügung stehenden Unterrichtsstunden und anschließend das direkt vor mir liegende Wochenende mit seinen Verpflichtungen. Ich entschied ruhig, dass am morgigen Samstag keine Zeit sein würde, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Am darauf folgenden Sonntag war wunderschönes Herbstwetter angekündigt, das ich für einen Ausflug mit meiner Familie in den Wald nutzen wollte. Zeit für die Klausurvorbereitung fand ich erst am Montagnachmittag. Ich beschloss in dem Moment also, mich in drei Tagen nachmittags zwei Stunden damit zu beschäftigen und in dieser klar umgrenzten Zeit zunächst Textgrundlagen für die Klausur zu finden und anschließend die mir noch verbleibenden Unterrichtsstunden grob zu skizzieren.

Was soll ich sagen: Ich schlief schnell ein und gut durch, hatte einen angenehm vollen, aber stressfreien Samstag, einen wunderschönen Familiensonntag und verwirklichte am Montagnachmittag mein Vorhaben konzentriert und weitgehend entspannt. Als ich den Computer ausmachte und auf die Uhr schaute, waren zwei Stunden vergangen…

Pindo

2 Gedanken zu „Im zukünftigen Moment sein

  1. eknad

    Hallo Pindo,
    das ist doch irre, wie der Körper auf eine information reagiert. Da steckt ein großes Potential drin. Gedanken sind auch Informationen!
    LG EKNAD

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  2. KW

    Lieber Pindo,
    was du als Achtsamkeit empfindest, würde ich als eine Art der Aufmerksamkeit empfinden. Und die kann ich üben zu lenken, in verschiedene Richtungen…
    Gruß
    KW

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