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Dusch mich, aber mach mich nicht nass

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Beelitzer Land im Vorfrühling 2018

Mein Blogeintrag zur emotionalen Grundhaltung an Schulen stößt bei vielen Leserinnen und Lesern auf Resonanz. Herzlichen Dank für die vielen Kommentare.

Besonders berührt hat mich der nachfolgend zitierte Text einer Lehrerin, die an ihrer Schule gerne unerkannt bleiben möchte:

Danke für diesen tollen Text!! Mir sind wirklich die ganze Zeit während des Lesens die Tränen geflossen, weil ich mit genau diesem „Grundgefühl“ seit Monaten durch die Schule gehe. Ich finde es gerade sehr schwierig, auszuhalten, von vielen Kolleginnen immer noch angeschaut zu werden, als hätte man etwas Unanständiges gesagt, sobald man das Wort „Achtsamkeit“ in den Mund nimmt. Bezeichnenderweise sind das oft genau die Kolleginnen, die sich bei mir (als Beratungslehrerin) darüber beklagen, dass sie nachts so schlecht schlafen und ab vier Uhr morgens wach liegen, weil die Gedanken rasen und ihr Default Mode Network auf Hochtouren läuft…

Einigen Kollegen geht es wirklich schlecht, aber ich habe das Gefühl, es ist oft immer dasselbe, so nach dem Motto: Dusch mich, aber mach mich nicht nass… Irgendwie hat Achtsamkeit immer noch ein riesiges PR-Problem…

Ich finde den Text so bemerkenswert, weil er aus der Negativsicht heraus nochmals sehr gut deutlich macht, welche Chance Achtsamkeit für eine Schule eröffnet: Wenn ein kleiner Kreis von Kolleginnen und Kollegen beginnt, sich mit dem Thema zu beschäftigen, dann entsteht ein Raum, der von Vertrauen geprägt ist. Und wo Vertrauen ist, da traue ich mich, auch als Lehrer zu zeigen, dass ich verletzlich bin. Ich vertraue anderen an, dass ich tatsächlich Schwierigkeiten habe, unter diesen MEGA-bescheidenen Rahmenbedingungen (alles ist ja MEGA heute…) erfolgreich und erfüllt zu arbeiten. Und das schafft Erleichterung.

Noch eine Anmerkung zu der immer wieder gehörten Behauptung, wir Meditationsfreaks würden mit Achtsamkeit das System stabilisieren, indem wir uns selbst noch widerstandsfähiger und dadurch leistungsstärker machen wollen oder indem wir Passivität an den Tag legen:

Achtsamkeit besteht, wie der mich sehr inspirierende Shinzen Young in seinem System Unified Mindfulness lehrt, aus drei zusammen wirkenden Fertigkeiten:
Konzentration, Klarheit und Gelassenheit. Dabei wird der Aspekt der Gelassenheit sehr oft missverstanden, weswegen meditierende Menschen sich immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt sehen, sie gerieten durch ihre Praxis in eine apathische Grundhaltung, die notwendige Veränderungen verhindere.

Dies ist falsch.

Gelassenheit in der Meditation übe ich nie gegenüber den sozialen Bedingungen in meiner Umwelt, sondern immer nur gegenüber meiner WAHRNEHMUNG derselben. Ich bin also mit mir selbst gelassen – und dies auch in schwierigen Momenten, gelassen mit meiner Unzulänglichkeit, meiner Unfähigkeit, mich zu konzentrieren, meinem Ärger, meiner Traurigkeit, meiner Müdigkeit, meiner Unlust, den nächsten Korrekturberg bis morgen noch abzutragen, gelassen gegenüber dem schlechten Gewissen, dass ich damit meine Schüler enttäusche, denen ich eigentlich versprochen hatte, dass sie morgen ihre Arbeit zurück bekommen, …

Indem ich gelassen bin mit all diesen starken, belastenden Emotionen, löse ich mich aus der Umklammerung meines inneren Kritikers und sorge so für mich selbst. Und ich eröffne Räume für andere, denen es eben so geht, Kolleginnen und Kollegen, Schülerinnen und Schülern, Eltern und ich lebe vor, dass es auch ihnen erlaubt ist, dies ebenfalls zu tun.

Vielleicht erreichen wir ja so irgendwann eine kritische Masse und stellen plötzlich erstaunt fest, dass wir mit unserem individuellen Verhalten gemeinsam unsere Umwelt verändert haben…

Eine Utopie? Mag sein. Aber mal im Ernst: Glaubt tatsächlich jemand , dass man in unserer von höchstem Druck auf allen Ebenen geprägten Welt des 21. Jahrhunderts nachhaltig etwas erreichen kann, indem man … Druck ausübt?

Also originell klingt anders.

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Beelitzer Land im Vorfrühling 2018

Pindo

 

 

Im zukünftigen Moment sein

Achtsamkeit ist, nach meiner spontanen Definition, die Fähigkeit, im aktuellen Moment das Wesentliche zu fokussieren und alles Andere in den Hintergrund treten zu lassen. Sie ist also ein Phänomen der Gegenwart. Allerdings bringen mich neue Erfahrungen zu der Auffassung, dass  Achtsamkeit auch in die Zukunft wirken kann.  Ein Beispiel:

Kürzlich stellte mir im Unterricht eine Schülerin die Frage, was eigentlich Gegenstand der Klausur sei, die wir ja in Kürze schreiben würden. Ich war in Gedanken bei einem anderen Thema und sagte ihr nur kurz, ich würde ihr in der nächsten Stunde dazu mehr Informationen geben. Dann vergaß ich den Vorgang in der Hektik des Schultags bis – zum Freitagabend kurz vor dem Einschlafen im Bett…

Es begann mit dem Bild aus der Klasse, das mir wieder in den Kopf schoss, ich hörte wieder die Stimme der Schülerin, dann einen Moment Leere und kurz darauf meine eigene anklagende Stimme: „Mein Gott! Welch erbärmlichen Anfängerfehler hast du da nur gemacht. Du unterrichtest ins Blaue hinein und kümmerst dich überhaupt nicht darum, was für deine Schüler klausurrelevant ist. Da hast du den Salat, wie soll das nur gut gehen, das schaffst du nie, …“ Mein Körper reagierte im selben Moment mit ausbrechendem Schweiß und Magendrücken. Der klassische Einstieg ins  Drehbuch einer durchwachten Nacht mit unproduktiven Gedankenspiralen auf zerwühlten Kissen.

Noch vor wenigen Monaten wäre dieses Szenario unabwendbar gewesen. Nun ging ich wie folgt vor: Ich konzentrierte mich zunächst auf meinen Atem und signalisierte meinem Körper mit jedem Ausatmen, sich langsam wieder zu entspannen. Das funktionierte nach kurzer Zeit so weit, dass ich wieder klar denken konnte. Ich analysierte kurz die Situation, zunächst Richtung Vergangenheit: Tatsächlich, Ich hatte einen Fehler gemacht. Dann fokussierte ich kurz die Zukunft, zunächst die zwei Wochen bis zur Klausur und die mir in dieser Zeit zur Verfügung stehenden Unterrichtsstunden und anschließend das direkt vor mir liegende Wochenende mit seinen Verpflichtungen. Ich entschied ruhig, dass am morgigen Samstag keine Zeit sein würde, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Am darauf folgenden Sonntag war wunderschönes Herbstwetter angekündigt, das ich für einen Ausflug mit meiner Familie in den Wald nutzen wollte. Zeit für die Klausurvorbereitung fand ich erst am Montagnachmittag. Ich beschloss in dem Moment also, mich in drei Tagen nachmittags zwei Stunden damit zu beschäftigen und in dieser klar umgrenzten Zeit zunächst Textgrundlagen für die Klausur zu finden und anschließend die mir noch verbleibenden Unterrichtsstunden grob zu skizzieren.

Was soll ich sagen: Ich schlief schnell ein und gut durch, hatte einen angenehm vollen, aber stressfreien Samstag, einen wunderschönen Familiensonntag und verwirklichte am Montagnachmittag mein Vorhaben konzentriert und weitgehend entspannt. Als ich den Computer ausmachte und auf die Uhr schaute, waren zwei Stunden vergangen…

Pindo

Ein Schulausflug wird zur achtsamen Herausforderung

Vor einigen Wochen erhielt ich einen Eindruck von der transformierenden Kraft der Achtsamkeitstechniken, die ich mir angeeignet habe:  Ich saß als begleitender Lehrer mit meiner Klasse in einem Berliner Theater und wartete auf den Beginn einer Autorenlesung. Der Saal war mit 350 lärmenden Jugendlichen im Alter von 13 bis 15 Jahren aus verschiedenen Schulen voll besetzt. Als die Protagonisten der Veranstaltung auftraten, ein amerikanischer Jugendbuchautor, seine Übersetzerin und der Moderator der Veranstaltung, ahnte ich bereits Böses.Der Moderator war ein unerträglich selbstverliebter Ignorant, der es offensichtlich gewohnt war, in Fernsehsendungen aufzutreten, wo schon die Anforderungen an die Tonaufnahmetechnik das Publikum in Schach hielten und für absolute Ruhe sorgten. In dem Ambiente hier im wirklichen Berliner Leben war er völlig überfordert. Während die Akteure auf der Bühne in einen routinierten Gutelaune-Talkshow-Habitus verfielen, näherte sich im Saal der Tonpegel nach anfänglichem kurzen Abebben schnell wieder dem einer Bahnhofshalle. Die Minuten verstrichen und meine Kollegin und ich schauten uns sprachlos an. Für mich kam die Situation einer Folter gleich. Ich kann respektloses Verhalten jeder Art nur schwer ertragen – und hier zeigten die Schüler im Saal mit ihrem lautstark demonstrierten Desinteresse die höchste Form von Respektlosigkeit gegenüber den Akteuren oben auf der Bühne. Gleichzeitig war mir völlig klar, dass es für mich absolut ausgeschlossen war, durch eine autoritäre Handlung irgendeiner Art die Situation zu verändern. Meine eigenen Schüler saßen weit von mir entfernt und all die anderen Klassen hätten mich vermutlich ausgelacht, wenn ich versucht hätte, sie für ihr Verhalten zu kritisieren. Und so nahm das Drama zunächst seinen gewohnten Lauf. Ich begann zu schwitzen und spürte, wie in mir die Aggression hoch stieg. Auf meiner Brust lastete ein starker Druck, der mir das Atmen erschwerte. Die Veranstaltung dauerte noch über eine Stunde und ich glaubte, keine Chance zu haben, in irgendeiner Weise Einfluss nehmen zu können.

Und dann erinnerte ich mich genau in diesem Moment höchsten Stresses an meine Achtsamkeitstechniken… Versuchsweise konzentrierte ich mich auf meinen Atem, folgte den Bewegungen meines Brustkorbes und meiner Bauchdecke –  und spürte mit großer Verblüffung schon nach wenigen Sekunden, dass sich in mir etwas veränderte. Der Druck auf meiner Brust ließ nach, mein Atmen wurde ruhiger, ich hörte auf zu schwitzen und fand langsam aber sicher meine Fassung wieder. Von da an war meine Neugier geweckt und ich begann, die eben noch ausweglose Sitution als Herausforderung wahrzunehmen. Zunächst einmal konzentrierte ich mich darauf, meinen Atem weiter zu beobachten, um meine Ruhe weiter zu stabilisieren. Als ich wieder völlig im Kontakt mit mir selbst war, ging ich schließlich einen Schritt weiter: Ich entließ nun den Atem aus meinem Fokus und konzentrierte mich hundertprozentig auf meinen Hörsinn. Dies tat ich, indem ich mit meiner inneren Stimme immer wieder das Wort „Hören“ wiederholte. Zunächst verschaffte ich mir damit einen Überblick über alle Geräusche, die an mein Ohr drangen. Dann fokussierte ich die Akteure auf der Bühne und stellte zu meinem Erstaunen fest, dass ich nun in der Lage war, jedes einzelne Wort, das dort oben gewechselt wurde, zu verstehen. Ungläubig ’switchte‘ ich zurück in den ‚Vollmodus‘ und war gleich wieder mitten drin in der Bahnhofshalle! Aber auch das zweite Umschalten in die Talkshow auf dem Szenario glückte problemlos. Von da an wurde die Veranstaltung ein Genuss für mich. Der Autor nebst Übersetzerin und der Moderator waren nur mäßig interessant. Für mich löste aber allein die Tatsache, dass ich sie nun verstehen konnte, ein Triumphgefühl sondergleichen aus. Den Rest der Veranstaltung genoss ich sehr und verließ den Saal anschließend in heiterer Gelassenheit.

Pindo

Stressreduzierung durch Achtsamkeit (MBSR) – das Konzept

MBSR-Kurse werden heute überall auf der Welt angeboten und folgen einem weitgehend standardisierten Format. Ihr Begründer und „Erfinder“ ist Jon Kabat-Zinn, der die Inhalte seit Jahrzehnten mit großem Erfolg an seiner Clinic for Stress Reduction in Boston / Massachusetts einsetzt. Das zentrale Ziel der Kurse ist es, den Teilnehmer/innen einen Zugang zur Achtsamkeit zu verschaffen.

Laienhaft würde ich Achtsamkeit umschreiben als die Erfahrung, absolut mit dem gegenwärtigen Moment synchronisiert zu sein, d.h. die Handlung, die man gerade ausführt, mit größtem Bewusstsein zu realisieren. So kann man achtsam hören, sehen, fühlen, essen, Auto fahren, Zähne putzen, den Müll hinunter tragen… Im Zustand der Achtsamkeit ist der Geist ruhig und konzentriert, nimmt eine möglicherweise auftretende Ablenkung bewusst und urteilslos zur Kenntnis und kehrt danach wieder zum eigentlich aktuellen Gegenstand des Interesses zurück. Aus den eigenen Erfahrungen der vergangenen 12 Monate weiß ich, dass Achtsamkeit im Alltag u.a. der Schlüssel für den Ausstieg aus endlosen Gedankenspiralen sein kann und dass sie bei mir zu mehr Ruhe, Gelassenheit und größerem körperlichen wie geistigen Wohlempfinden geführt hat.

Die Kurse fokussieren das Thema Achtsamkeit aus unterschiedlichen Blickwinkeln in 8 wöchentlichen Sitzungen im  Umfang von je 3 Stunden. Hinzu kommt ein Tag des Schweigens an einem Wochenende. In den Kursen erlernen die Teilnehmer/innen verschiedene Techniken der Achtsamkeitspraxis. Dazu gehören:

  • die Sitzmeditation in unterschiedlicher Dauer von 5-45 Minuten
  • der Bodyscan, eine Meditation im Liegen, bei der man langsam und ruhig mit seiner Aufmerksamkeit durch den gesamten Körper wandert. Dauer ca. 30-45 Minuten
  • Meditationen im Gehen
  • einfache Yoga-Übungen

Sehr interessant für mich war, dass Kabat-Zinn die Meditationsformen im Wesentlichen unverändert verschiedenen buddhistischen Strömungen entlehnt hat und dass diese trotzdem auch bei westlichen Menschen wie mir, die nichts über den ursprünglichen spirituellen Hintergrund wissen, hervorragend funktionieren. Im Laufe der Zeit wurde mir aber auch bewusst, dass es trotz dieser Reduktionen für einen offenen und neugierigen Menschen sehr leicht möglich ist, durch die eigenenen Erfahrungen mit den MBSR-Techniken Zugang zu einer ganz neuen Spiritualität zu erlangen. Insofern handelt es sich um ein wunderbar undogmatisches und zugleich sehr offenes Konzept. (Weitere Informationen finden sie  z.B. auf den Webseiten meiner Achtsamkeitstrainerin Karin Wolf

Pindo.

Am Wendepunkt

Irgendwann blockierte die Tretmühle und meine allgemeine Unruhe schlug zunehmend in Aggression um. Als Beispiel hier ein beliebtes Machtspiel, das viele Eltern so oder ähnlich sicher kennen.  Beim Zähneputzen macht meine vierjährige Tochter ihren Mund nicht auf. Gutes Zureden hilft nicht, energisches Auffordern ignoriert sie ebenfalls souverän. Ich spüre, wie mein Blut in Wallung gerät. Als sie auch auf eine Drohung immer noch nicht reagiert, werde ich laut, hebe sie mit beiden Armen unsanft hoch und setze sie grob einen Meter weiter neben mir ab. Im nächsten Moment blicke ich in weit aufgerissene, angsterfüllte Augen, die sich mit Tränen füllen. Ich bin immer noch außer mir, gleichzeitig beschämt über das eigene Versagen und verlasse stumm und besiegt den Raum. Zehn Minuten später nehme ich sie in den Arm und entschuldige mich. Nun bin ich wütend auf mich, weil ich weiß, dass Momente wie diese Vertrauen zerstören können.

Auch im Umgang mit anderen Menschen reagierte ich in der Folgezeit immer wieder aggressiv. Ich, der Kontroll-Freak, verlor für Momente die Kontrolle über mich und mein Verhalten. Ich war am Wendepunkt – und irgendwann war klar, dass es so nicht weiter ging.

Pindo

Vor der Achtsamkeit: das Hamsterrad

Die Krisensymptome nahmen irgendwann Überhand. Im beruflichen Bereich hatte ich das Gefühl, den Aufgaben nicht mehr gerecht zu werden, weswegen ich meine Arbeitszeiten immer weiter ausdehnte – zum Schluss sogar auf den frühen Morgen ab 5 Uhr. Dennoch wurde ich nie fertig. Wie auch? Fertigwerden ist nicht vorgesehen im Lehrerberuf und objektiv auch gar nicht möglich. Dazu rührt man einfach in zu vielen Leben gleichzeitig. In der Schule rannte ich von morgens früh bis zum Nachmittag ohne wirkliche Pause von Unterrichtsstunde zu Unterrichtsstunde. Unterrichten ist Hochleistungssport. 35 13-jährige Pubertierende saugen einem die Energie in einer Doppelstunde Englisch buchstäblich aus dem Körper, egal wie positiv sie dir gegenüber stehen. In den Pausen zwischen den Stunden dann noch Kopieren, Schülergespräche zu Banalitäten, aber auch menschlichen Abgründen, Abstimmungen mit Kollegen und der Schulleitung – oft in einer Taktfrequenz, bei der ich nicht Zeit für die elementarsten Dinge wie etwa Trinken fand.

Ich bin Lehrer mit Leib und Seele. Und deshalb quälte es mich, dass ich in all den banalen organisatorischen Dingen, die meinen beruflichen Alltag füllten, nicht die Zeit für die wirklich wichtigen Dinge fand. Zeit für individuelle Beratungen von Schülern etwa, die an der deutschen Schule nicht eingetaktet ist. Sie geht immer zu Lasten der vielen anderen Pflichten, oftmals furchtbar bürokratischer Art, die dennoch erledigt werden müssen.

So verließ ich die Schule regelmäßig mit einem Gefühl der Unzufriedenheit und Ohnmacht. Auf dem Weg nach Hause, wenn auf dem Fahrrad der Adrenalinspiegel sank, fielen mir  buchstäblich die Augen zu. Trotzdem fing in meinem Kopf dann schon der innere Perfektionist als Zuchtmeister an zu zetern und mich daran zu erinnern, dass ich am Nachmittag noch sechs Stunden für den nächsten Tag vorzubereiten hatte. Kurz darauf meldete sich mein schlechtes Gewissen lauthals zu Wort und erinnerte mich an meine väterlichen Pflichten: In einer Stunde kamen die Kinder aus Schule und Kindergarten und wollten mit Papa spielen. Wenn ich mich mit dem Mittagessen beeilte, konnte ich sie vielleicht sogar noch selbst abholen.

Alles floss ineinander. Meine ganze Familie litt mit mir, unter den inneren Streitereien zwischen Zuchtmeister und Moralapostel, weil ich nur ganz selten wirklich geistig anwesend war. Während ich vorgab, mit den Kindern Memory zu spielen, flogen meine Gedanken schon zum Schreibtisch. Hatte der Zuchtmeister gewonnen und ich mich losgeeist, nörgelte am Schreibtisch das schlechte Gewissen wieder los, störte meine Konzentration und zog die Unterrichtsvorbereitungen dadurch unnötig in die Länge.

Ich führte ein Leben als Teufelskreis, im Hamsterrad, in der Tretmühle – und hatte mich in mein Schicksal gefügt.

Pindo