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Achtsame Grammatikstunde

In diesem Schuljahr unterrichte ich eine siebte Klasse in Spanisch. Wie all meine Lerngruppen habe ich auch diese recht bald mit Achtsamkeit in Kontakt gebracht. Seitdem sind achtsame Auszeiten im Unterricht fester Bestandteil unseres gemeinsamen Arbeitens. Auch nach mehr als zehn Jahren arbeite ich immer noch sehr gerne mit Soryu Foralls niedrigschwelligem Ansatz Mind the Music. Die Schüler*innen lieben es einfach, wenn sie im Unterricht die Möglichkeit haben, für einen Moment ihre Musik zu hören. Die Experimente mit Achtsamkeit – Fokus halten und wechseln, Kontakt mit Emotionen und Gedanken, Switch zwischen „außen hören“ und innen hören“ – machen sie da ganz nebenbei.

In anderen Momenten sitzen wir nur ein paar Minuten in Stille, machen eine kurze Reise durch unsere Körper, bemerken den Kontakt der Füße mit dem Fußboden, spüren das Gewicht unseres Körpers auf dem Stuhl, erkennen, dass wir Hände haben, nehmen den immer irgendwie vorhandenen Druck in unseren Schultern gelassen zur Kenntnis, denn ja, auch Siebtklässlerschultern tragen bereits niederdrückende, Verspannungen erzeugende Lasten…

Die Übungen enden in der Regel mit einem Atemraum, wie Susanne Krämer diese kurzen Atembeobachtungen in ihrem großartigen Buch Wache Schule nennt. Daran anschließend genießen wir dann gemeinsam noch einen Moment diese einzigartige, friedliche Stille, die entsteht, wenn eine Gruppe von Menschen sich gemeinsam dazu entscheidet, für ein paar Minuten gemeinsam zu schweigen. In der Schule, wo so oft durcheinander gebrüllt wird und oft Hektik pur herrscht, wirken solche Momente wie kostbare Perlen.

Vergangene Woche kam mir in diesem Moment gemeinsamer Stille spontan die Idee zu einem kleinen Experiment. Mit ruhiger Stimme bat ich die Schüler*innen für einen Moment die Augen zu schließen und ihre Gedanken ganz entspannt der vergangenen Stunde von vor zwei Tagen zuzuwenden. Ich bat sie zu schauen, ob sie sich an das Thema der Stunde erinnern konnten, brachte ihnen ins Gedächtnis, dass wir ein Tafelbild gemeinsam erarbeitet hatten und ließ sie sich an die neu eingeführten Formen erinnern. Dabei ermunterte ich sie immer wieder, auch den Atem zu beobachten, besonders ihr Ausatmen wahrzunehmen und sich klarzumachen, dass Ausatmen unweigerlich das Zwerchfell entspannt und dass sie, indem sie sich das klar machen, die Möglichkeit haben, die physische Entspannung auf ihren Geist zu übertragen.

Der Frieden im Raum wich einer entspannten Konzentration. Die meisten Schüler*innen hatten tatsächlich die Augen geschlossen und waren in ihre Gedanken vertieft. Nach ein paar Minuten beendete der Ton des Klangstabs die Übung, die Schüler*innen öffneten die Augen und begannen ruhig und bestimmt zu erzählen. Dabei ließen sie sich Zeit h,örten sich gegenseitig zu, reagierten aufeinander mit zustimmenden Äußerungen wie „Ach ja, genau“ Hier eine Rekonstruktion der Abfolge:

Es ging um Possessive.

Das sind Wörter, die Besitz ausdrücken, oder Zugehörigkeit.

Sie haben uns das englische Wort ‚to possess‘ genannt, es gibt auch das Wort ‚to own‘ aber ‚possess‘ heißt auch besitzen auf Englisch.

Die Formen sind mi / mis, tu / tus, su / sus, nuestro / nuestra , nuestros / nuestras, vuestro/ vuestra, vuestros / vuestras, su / sus.

Im Spanischen ist es in der ersten und zweiten Person anders als im Deutschen. wir sagen meine Mutter und mein Vater. Im Spanischen ist es nur mi …

Man muss aufpassen, dass man nuestro und vuestro nicht mit nosotros und vosotros verwechselt.

Ich war sehr beeindruckt, wie viel hängen geblieben war, lobte die Gruppe und schlug dann vor, dass wir mit ein paar vertiefenden Übungen zu den neuen Formen weiter machen könnten – und das taten wir dann auch.

Dieser aus dem Moment entstandene Unterrichtseinstieg widerspricht so ziemlich allem, was ich im Referendariat gelernt habe. Er ist nicht einsprachig, hat kein motivierendes Element, führt nicht direkt ins neue Stundenthema ein. Wenn ich diese Anforderungen schreibe, spüre ich Enge, Widerstand gegen die Hochleistungsdidaktik, die uns damals als perfektionistisches Ideal vermittelt wurde. Ganz anders meine Wahrnehmung bei der Erinnerung an diesen unprätentiösen Moment.

Menschen entspannen sich, genießen Ruhe, Entspannung, den Austausch miteinander und möchten lernen, einfach so, weil es ein Moment dafür ist.

Pindo

Der Ruf der Nachtigall

Dreimal in der Woche findet an meiner Schule eine Mittagsmeditation statt. Sie ist inzwischen für eine Reihe von Schüler*innen und Kolleg*innen fester Bestandteil des Alltags.

Für mich ist es ein Wunder, dass diese Achtsamkeitsroutine in der nur halbstündigen Mittagspause nun schon seit drei Jahren existiert: Um 12:15 klingelt es zum Stundenende. Ab 12:20 trudeln Menschen ein, in der Regel zwischen 5 und 15. Um 12:23 schließen wir die Tür, ich begrüße die Anwesenden, stelle die Klangschalen-App auf 12 Minuten und beginne anzuleiten.

Dabei lasse ich mich von dem führen, was sich zeigt. Im Mittelpunkt steht meist das „Außen fühlen“ in Form einer Reise durch den Körper. Wir beginnen bei den Füßen, spüren den Kontakt mit dem festen, stützenden Boden, erkunden die Friedlichkeit neutraler Körperregionen, geben der Anspannung in Schultern Raum, erspüren, wie es sich anfühlt, wenn sich Unterkiefer und Stirn entspannen, lauschen unserem Atem…

An einigen Tagen drängen jedoch die Geräusche des Schulalltags so in unsere Wahrnehmung, dass wir uns ihnen öffnen, „ganz Ohr werden“ und das „Außen hören“ praktizieren. Geschrei auf dem Schulhof, ploppende Basketbälle, Torjubel auf dem Fußballplatz. Gepolter auf dem Gang, die quietschende Durchgangstür vor unserem Raum … All dies wird Objekt unserer Meditation und wir zum Auge des Orkans.

Um 12:36 beenden drei Gongschläge die Praxis. Es folgen 4 Minuten Nachklang: Entweder wir sitzen schweigend und genießen die im wahrsten Sinne des Wortes andächtige Stille in der Gruppe – oder wir tauschen uns über die Praxis aus- 240 Sekunden oft ganz tiefer Einblicke in Seelen, geteilt von Lehrenden und Lernenden. Dann bedanken wir uns beieinander, verabschieden uns und gehen unserer Wege, die meist bis zum nächsten Klassenzimmer führen, wo 5 Minuten später die nächste Stunde beginnt.

Heute ist ein besonderer Tag. Die Friday for Future Demonstration am Brandenburger Tor zieht viele Schüler an und so sitze ich mit Moritz, einem lieben Kollegen allein. Wir sind beide erfahrene Meditierende und genießen die Minuten in Gemeinschaft schweigend. Anschließend erzählt er mir von einer „Außen hören“-Erfahrung. Ein eigenartiges Miteinander von Vogelwelt und pausierenden Schüler ist ihm aufgefallen. Solange die Pause im vollen Gang war und der Schulhof erfüllt von der lauten Energie junger Menschen, hörte er nur das Tschilpen der Spatzen. Dann, als die Menge sich zurück Richtung Gebäude orientierte und der Hof wieder zu einem Ort der Ruhe wurde, erlebte er diesen ganz besonderen Moment, als die Nachtigall wieder zu singen begann, erst ganz zaghaft und dann zunehmend selbstbewusst, wissend, dass es sich nun wieder lohnte, die Welt mit ihrem bezaubernden Lied zu erfüllen.

So war ich eben noch angestrengt, überfordert in dieser harten Abiturwoche mit ihren viel zu vielen Anforderungen und nun beginne ich zu lächeln, erfüllt von der Naturerfahrung des Kollegen.

DAS meine ich, wenn ich sage, dass Achtsamkeit Schule transformiert.

Pindo

 

 

 

 

Der Hunger der Welt

Ein Buch beschäftigt mich derzeit wie lange kein anderes: Zen, and the Art of Making a Living, von Laurence G. Boldt.

Bei einem library sale in Sydney ist es uns im vergangenen Jahr in die Hände geflattert. Vor einigen Wochen fiel mein Blick auf den Buchrücken im Regal und seitdem lässt es mich nicht los.

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Heute möchte ich ein Zitat daraus teilen, das mein Lehrerherz zum Schwingen bringt. Es greift eine meiner grundlegendsten Überzeugungen auf: Alle Menschen verfügen in sich über etwas Einzigartiges, mit dem sie die Welt zu einem besseren Ort machen können.

The hunger of the world cries out for the food of your loving attention. Listen and discover what kind of food you have; then distribute it where it is most needed and wanted. Do you have spiritual food or the food of laughter? Do you have wisdom food or affection food? Do you have beauty food or confidence food? Whatever food you have, share it. We can all feed each other our best food and in so doing, nourish all life. Remember, there are so many ways to serve. It needn’t look any particular way. It is up to you to see clearly – to find your way.

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Hier meine Übertragung ins Deutsche:

Der Hunger der Welt schreit nach Nahrung. Du gibst sie ihr mit deiner liebevollen Aufmerksamkeit. Lausche und entdecke welche Nahrung du hast; dann verteile sie, wo sie am meisten benötigt und gewollt wird. Hast du spirituelle Nahrung oder die Nahrung des Lachens? Hast du die Nahrung der Weisheit oder der Zuneigung? Ist deine Nahrung Schönheit oder Zuversicht? Welche Nahrung auch immer du hast, teile sie. Wir können uns allen gegenseitig den Hunger stillen mit unserer besten Nahrung. Und indem wir das tun, nähren wir das Leben selbst. Denke daran, es gibt so viele Wege zu dienen. Wie genau er aussieht, steht nicht fest. Es liegt an dir, klar zu sehen, um deinen Weg zu finden.

Nehmen wir einmal an, Schule hätte bei uns die Aufgabe, unseren Kindern dabei zu helfen, diesen Weg für sich zu entdecken… Wie würde unsere Gesellschaft dann wohl aussehen?

Pindo

PS: Die Bilder sind Beispiele von Schönheit und Zuneigung, mit denen meine Tochter mich in der vergangenen Woche während einer krankheitsbedingten Auszeit versorgt hat.

Achtsamkeitarbeit an der FEO Berlin – ein Zwischenresümee

Muscheln am Strand

Muscheln an einem galicischen Strand – Symbol meiner Achtsamkeitsangebote am Friedrich-Ebert-Gymnasium in Berlin

Seit zwei Wochen läuft am Friedrich-Ebert-Gymnasium in Berlin in meiner 9. Klasse ein Basistraining Achtsamkeit. Die etwa 30 Schülerinnen und Schüler  kommen noch bis Weihnachten einmal pro Woche freiwillig eine Stunde früher und lassen sich von mir in die Praxis des Achtsamen Entspannens, Hörens, Sehens, Wahrnehmens des Positiven und Ziele Setzens einführen. Sie sind sehr aufmerksam und probieren  die Techniken neugierig und mit großer Ernsthaftigkeit aus. Albernes Kichern fehl am Platz. Niemals muss ich disziplinierend eingreifen. In den Feedbackrunden sind sie noch etwas schüchtern. Die entspannten, dankbar lächelnden Gesichter, die die meisten von ihnen am Ende der Sitzungen zeigen, sprechen aber für sich. Dann die Bestätigung am Elternsprechtag vergangenen Mittwoch. Mehrere Eltern kommen extra zu mir, um mir für die Arbeit mit ihren Kindern zu danken. Eine Mutter berichtet begeistert, ihr Sohn mache mit der ganzen Familie am Abendbrottisch  Achtsamkeitsübungen. Sie ist fasziniert von dieser Entwicklung – und von der Wirkung, die sie selbst verspürt.

Die Eltern der Schule haben mich nun mehrfach gebeten, auch ein Angebot speziell für sie zu machen. Nun findet es tatsächlich statt: Am 10. Januar biete ich die Abendveranstaltung „Achtsam ins Neue Jahr“ an. Darin möchte ich in einige grundlegende Techniken einführen und zeigen, wie diese zu Ankerpunkten für ein entspannteres Zusammenleben in der Familie werden können.

Seit meinen ersten Experimenten mit Achtsamkeit hat sich an meiner Schule einiges getan:

  • Etwa 120 Schülerinnen und Schüler haben in den vergangenen Jahren mit mir mehrwöchige Basistrainings absolviert und sehr positiv darauf reagiert;
  • Montags und freitags treffen sich in der Mittagspause regelmäßig zwischen 5 und 15 Jugendliche und Erwachsene, um miteinander eine Viertelstunde zu meditieren;
  • Zur Achtsamkeits-AG kommen nun im 4. Jahr diejenigen Schülerinnen und Schüler, die wirklich tief eintauchen möchten und faszinieren mich mit ihrer Begeisterung und Ernsthaftigkeit;
  • 4 Kolleginnen und Kollegen haben die von Fokus Achtsamkeit organisierte Fortbildung zum Achtsamkeitstrainer / zur Trainerin mitgemacht, die ich gemeinsam mit Sabine Heggemann im Frühjahr 2016 in Berlin durchgeführt habe.

Es kommt immer wieder vor, dass ich unzufrieden bin: Die positiven Erfahrungen lösen in mir Ungeduld aus. Ich suche nach Wegen, die Arbeit im größeren Rahmen anzubieten, weil ich davon überzeugt bin, dass wir unseren Schülerinnen und Schüler heute kaum etwas Wertvolleres vermitteln können, als eine achtsame Grundhaltung. Sie bietet den Jugendlichen die Chance zu einem intensiveren Kontakt mit sich selbst, die Möglichkeit, in der heutigen Welt mit all ihren besorgniserregenden Entwicklungen mental und physisch gesund zu bleiben, die Klarheit, dass sie selbst wertvolle Mensch sind, die diese scheinbar so unvollkommene Welt ein wenig besser machen können, indem sie sich auf den spannenden Weg begeben, die bestmöglichen Menschen zu werden, die sie selbst- und nur sie selbst – sein können.

Natürlich könnte alles viel größer, wichtiger, spektakulärer sein. Dennoch weiß ich, dass die vielen kleinen Akzente, die ich an meiner Schule setzen kann, schon jetzt wertvoll sind. Und das erfüllt mich mit Dankbarkeit.

Pindo

 

Achtsamkeit und Gymnasium – geht das?

Vor etwa vier Jahren habe ich damit begonnen, das Thema Achtsamkeit in die Öffentlichkeit meiner Schule zu bringen. Seitdem ist einiges passiert. Die folgende Auswahlliste vermittelt einen Eindruck.

Ich habe die Trainerbefähigung für drei jugendorientierte Achtsamkeitsprogramme, Mind the Music, Modern Mindfulness und .b – Mindfulness in Schools, erworben und sie mit Schülergruppen erprobt.

Weit über 100 Schülerinnen und Schüler haben an mehrwöchigen Achtsamkeitstrainings teilgenommen, weitere ca. 50 Schülerinnen und Schüler an eintägigen Workshops im Rahmen von Projekttagen.

Mein aktueller Leistungskurs Englisch hat sich einstimmig dafür entschieden, ein Achtsamkeitsprogramm als Vorbereitung auf das Abitur zu durchlaufen.

Ich leite eine Achtsamkeits-AG, in der wöchentlich Schülerinnen und Schüler zusammen kommen. Die Gruppe ist klein (derzeit 4-8 Teilnehmer/innen), das Niveau, auf dem die dort versammelten jungen Experten arbeiten, dafür umso faszinierender. Mehrere Einträge in diesem Blog zeugen davon.

Zweimal die Woche treffen sich Kolleg/inn/en und Schüler/inn/en zur Achtsamen Viertelstunde, einer kurzen Sitzmeditation im Auge des Sturms unserer Mittagspause

Seit kurzer Zeit organisieren wir ein Sitzen in Stille vor den Gesamtkonferenzen.

Die organisierte Elternschaft unterstützt die Arbeit sehr und hat vorgeschlagen, den Begriff „Achtsamkeit“ im Leitbild der Schule zu verankern.

Seit Januar 2016 nehmen 4 Kolleginnen und Kollegen an der von Fokus Achtsamkeit organisierten Lehrerfortbildung zum Programm Mind the Music teil.

Bei mir erzeugt diese Rückschau ein tiefes Gefühl der Freude und der Dankbarkeit so vielen Menschen gegenüber:

meiner Schulleitung, die mich einfach mal hat machen lassen,
den Schülerinnen und Schülern, die sich öffnen und auf den Weg begeben,
Kolleginnen und Kollegen, die mich ermutigen, mittun und unter denen vier nun zu ganz aktiven Mitstreitern werden,
Eltern, die mit Wohlwollen und Dankbarkeit auf diese Arbeit reagieren, die ja zunächst einmal an einem Gymnasium eher exotisch wirkt, …

Wir alle miteinander haben in den vergangenen Jahren die Erfahrung gemacht:

Achtsamkeit und Schule – ja das geht!

Pindo

Eine Formel für Glück (1)

 

Ein Vortrag von David Steindl-Rast bei einem TED-Treffen 2013 in Edinburgh inspiriert mich seit Wochen. In den 15 Minuten erläutert der Benediktinermönch, für mich einer der ganz großen spirituellen Lehrer unserer Zeit, den Zusammenhang zwischen Glück, Dankbarkeit und Achtsamkeit.

Auf die Essenz reduziert sag DSL aus:

  • Alle Menschen vereint, dass sie zuallererst danach streben, glücklich zu sein.
  • Die Voraussetzung für Glück ist das Empfinden von Dankbarkeit (Und nicht etwa umgekehrt!)
  • Die Voraussetzung für das Empfinden von Dankbarkeit schaffe ich, indem ich meine Wahrnehmung des Alltags bewusst verlangsame.
  • Wir können diese Verlangsamung mithilfe einer Strategie erreichen,  die wir  unseren Kindern beibringen, um sicher über die Straße zu kommen: STOP. LOOK. GO! Dabei steht GO für die der jeweiligen Situation angemessene Handlung. In den meisten Fällen besteht sie nach Aussage von DSL einfach in einem ENJOY, der Aufgabe, den jeweiligen Moment als Geschenk anzunehmen und zu genießen.

Wie ist Ihre Reaktion? Ziehen Sie sich beim Lesen innerlich bereits zurück mit einem verhaltenen „Na ja …, aaaaber ….“?

Dann bitte ich Sie, ebenso wie alle anderen, sich für den Moment eines Urteils zu enthalten,  damit eine der Grundhaltungen der Achtsamkeit zu üben und 15 Minuten Ihres Lebens zu investieren, um dem Vortrag zu lauschen, so wie ich es mit den Schülern meines Leistungskurses gemacht habe: mit einer Haltung des „Ganz Ohr Seins“, der sich möglichst umfassenden Hingabe an Ihre Fähigkeit, zu lauschen.

Nach dem Hören bitte ich Sie, für eine Minute die Augen zu schließen und auf eine mögliche Resonanz des Gehörten in sich zu achten.

Was empfinden Sie? Vielleicht mögen Sie Ihre Reaktion in einem kleinen Kommentar zu diesem Blogeintrag niederschreiben? Ich bin gespannt.

To be continued …

Pindo

 

 

Lehrer im Frühsommerglück

Ja, mein Beruf ist wunderschön, vor allem in den Wochen vor den Sommerferien, wenn die Arbeiten korrigiert und die Noten eingetragen sind und ich mit meiner Klasse noch einen Abschlussausflug unternehme. Mit der Draisine fahren wir auf einem stillgelegten Bahngleis von Zossen nach Mellensee, südlich von Berlin und dann mit dem Hydrobike aufs Wasser.

Da wird der Geist ruhig, das Auge verschmilzt mit den Blautönen der Umgebung und der See erscheint so unendlich wie der vor mir liegende Sommer.

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Achtsamer Flow im Spanischunterricht

Die Doppelstunde gestern war eigentlich Alltagsgeschäft: Einführung in eine neue Lehrbucheinheit mit einer Spanischklasse im zweiten Lernjahr war angesagt.

Im Mittelpunkt stand eine Comicsequenz, die auch in einer Audiofassung vorlag:  Eine Clique von Freunden trifft sich nach den Ferien wieder und tauscht sich über die Ferien und den bevor stehenden Schulbeginn aus.

Zu Beginn hatte ich einen groben Unterrichtsplan im Kopf. Dann schaute ich aber in die müden Gesichter der Gruppe und begann spontan mit einer Achtsamkeitsübung. Die Klasse kennt das sehr einfache Schema dieser ca. fünfminütigen Einheit bereits und liebt es:

Wir fokussieren zunächst nacheinander Füße, Hände, Schultern,  dann den Atem und beobachten ihn für einige Zeit. Während der Übung sage ich den Schülern mehrfach, dass ihre Gedanken nun vermutlich auf Wanderschaft gingen und dass dies völlig normal sei. Sie sollen die Aufmerksamkeit dann einfach gelassen zum Atem zurück bringen.

Nach etwa drei Minuten wechseln wir den Fokus  vom Atem auf das eigene Hören, wir verschmelzen gleichsam mit den Ohren,  horchen gemeinsam auf all die Geräusche um uns herum, Gepolter auf dem Gang, das Summen des Projektors am Whiteboard, die Vögel draußen in den Bäumen, Wind, Stühleknarren, Husten , …

Wieder erinnere ich an die Normalität des Gedankenflugs und die Möglichkeit, einfach immer wieder aufs Neue zurück zu kehren zum Fokus, in diesem Fall zum HÖREN.

So weit so gut. Der Ablauf ist meinen Schülern und mir vertraut und inzwischen ein Garant für fünf Minuten Wohlgefühl. Gestern geschah dann jedoch etwas Neues:

Ich bat die Schüler spontan, den Fokus Hören bei zu behalten und in ihrem entspannten Zustand die Hörfassung des oben beschriebenen Textes anzuhören. (Hier der Link zu einer ähnlichen Erfahrung mit meinem Leistungskurs Englisch.)

Ich gab den Schülern einen einfach gehaltenen Auftrag, der darauf abzielte, nur die wesentlichen Aspekte der Situation zu erfassen: Wer unterhält sich in welcher Situation ganz grob worüber?

Nach dem Anhören tauschten sich die Schüler mit ihren Nachbarn über ihre Erkenntnisse aus und ich notierte diese an der Tafel. Dabei übertraf die Klasse meine Erwartungen deutlich.

Ich beglückwünschte die Schüler zu ihrer Leistung und wies sie dann auf eine Beobachtung hin, die ich während des ersten Hördurchgangs gemacht hatte: Trotz der vorgeschalteten Entspannungsübung hatten auch diesmal mehrere Schüler wieder nach Einsetzen der Aufnahme mit spontaner Ablehnung reagiert: „Boah ist das schwer, ich verstehe ja kein Wort.“ Ich zeigte auf die gesammelten Informationen auf der Tafel, die dieser Selbsteinschätzung völlig zuwider liefen. Dann hielt ich ihnen einen Minivortrag über die Angewohnheit von uns Menschen, unsere Sinneseindrücke immer sofort zu beurteilen, anstatt sie einfach erst einmal wirklich wahr zu nehmen. Dabei griff ich auf mein Wissen aus dem MBSR-Kurs bei Karin Wolf zurück, in dem wir das Nicht-Urteilen als eine der meditativen Grundhaltungen eingeübt hatten. (Vgl. hierzu diesen Eintrag.)

Ich bat die Schüler nun, sich nochmals kurz zu entspannen und den Fokus Hören wieder aufzubauen, um der Tonaufnahme ein zweites Mal zu lauschen. Diesmal sollten sie jedoch bewusst versuchen, Urteile jeglicher Art zu vermeiden.

Die Ergebnisse waren für mich spektakulär. Die Schüler hörten eine Vielzahl von Details heraus, anschließend stand die Geschichte in ihren wesentlichen Punkten klar erkennbar an der Tafel.

Nun lasen wir den Comic gemeinsam und hörten dazu nochmals die Tonfassung. Zwischendurch unterbrach ich an mehreren Stellen, stellte kurze Verständnisfragen und erläuterte ein neues grammatisches Phänomen.

Dann traf ich die nächste Entscheidung aus dem Moment heraus. Ich bat die Schüler, die Texte zu verdecken, ihre Augen zu schließen und eine Minute in Stille auf ihre innere Stimme zu lauschen, die ihnen nun wichtige Wörter aus der Geschichte vorsagen würde.

Die Plenumsphase anschließend ergab ein wahres Feuerwerk von neuen Wörtern, an die sie sich erinnerten.

Nächste Idee – Assoziationen! „Nun machen wir eine Wortkette: Ein Schüler sagt ein Wort aus der Geschichte, der nächste sagt ein anderes, das ihm in den Sinn kommt, wenn er das vorherige Wort hört und so weiter.“ So wiederholten wir die Wörter nochmals, in anderer Reihenfolge und festigten sie durch den assoziativen Charakter der Übung.

Beim Austauschen der Wortassoziationen griff ich nochmals kurz ein und schlug den Schülern vor, den Fokus Hören aus der formellen Übung vom Stundenbeginn nun auch auf den Austausch mit den Klassenkameraden zu übertragen. So, wie wir vorhin dem Text gelauscht hatten, könnten wir nun den Stimmen der anderen im Raum zuhören.

Die Folge war eine konzentrierte Stille, stets nur unterbrochen von der Stimme eines einzelnen Schülers, eine Stille, in der man die Energie der Gruppe förmlich mit Händen greifen konnte. Schüler, die sich zuhören und austauschen, ohne dass man für Disziplin sorgt – Sternstunden für jeden Pädagogen. In den vergangenen Monaten hatte ich sie schon öfters direkt nach einer Achtsamkeitsübung erlebt. Nie jedoch hatten sie so lang angehalten wie diesmal.

Während die Schüler im Austausch waren, überlegte ich mir den nächsten Schritt: Logisch,  Schreiben passte jetzt. Also: „Nehmt euch ein Blatt Papier und formuliert einzelne Sätze, die zur Geschichte passen. Die Sätze müssen nicht unbedingt im Zusammenhang zueinander stehen.“

Die Schüler setzten sich hin, sofort setzte das übliche Gemurmel mit den Tischnachbarn ein und die Konzentration brach binnen Sekunden in sich zusammen. Darauf ergriff ich wieder spontan kurz das Wort und schlug ihnen vor, noch einen neuen Fokus auszuprobieren. „Probiert es jetzt einmal mit SCHREIBEN. Jedes Mal, wenn eure Gedanken auf Wanderschaft gehen, bringt ihr sie zurück zum SCHREIBEN.“ Wieder war die Wirkung umwerfend. Sofort kehrte die Energie zurück. Für die nächsten 10 Minuten formulierten alle Schüler mit Sorgfalt Sätze in ihrem Spanisch.

Es folgte eine weitere Plenumsphase, in der ein Schüler einen Satz vorlas und anschließend selbstständig einen anderen Schüler dran nahm. Zwischendurch schlug ich den Vorlesenden kurz vor, mit Hilfe des Fokusses SPRECHEN der eigenen Stimme mehr Druck zu verleihen. Auch das wurde sofort umgesetzt und die Schüler waren sofort besser zu verstehen.

Dann ging diese ganz besondere Doppelstunde, in der wir ohne Pause gearbeitet hatten, zu Ende. Ich lobte die Schüler nochmals  und dankte ihnen für die konzentrierte Mitarbeit. Abschließend sagte ich Ihnen, ich wollte eine schriftliche Hausaufgabe erteilen. Ich fragte, wie eine Schreibaufgabe aussehen könnte, in der all das heute Gelernte nochmals zusammen fließen würde und die für sie interessant zu bearbeiten sei. Gemeinsam entwickelten wir so folgenden Arbeitsauftrag: Übernehme die Perspektive einer der Personen aus dem Comic und schreibe in dein Tagebuch über das Wiedersehen mit deinen Freunden nach den Sommerferien.

Es klingelte, die Schüler verließen gut gelaunt den Raum. Im Vorbeigehen verabschiedeten sich alle persönlich vor mir.

Zurück blieb ich mit einer Referendarin, die in der Stunde hospitiert hatte. Sie kam nach vorn, pures Staunen auf ihrem Gesicht. Sie schüttelte ungläubig den Kopf und fragte mich, wie lange ich denn an der Planung für diese Stunde gesessen hätte.

Meine Reaktion: Fassungsloses Schulterzucken und zwei Worte: „Reine Improvisation.“

Pindo

 

„Es funktioniert!“ – über das achtsame Erledigen von Hausaufgaben

Vor einigen Tagen musste ich einen kranken Kollegen in einer mir fremden 10. Klasse vertreten. Eigentlich ist das eine unangenehme Aufgabe, da die Schüler meist nicht die Lust haben, sich auf eine inhaltliche Arbeit einzulassen und ich als unbekannter Lehrer nicht in der Position bin, eine solche einzufordern, ohne dabei selbst Stress zu erleben.

Diesmal war alles anders. Ich habe den Schülern von meiner Achtsamkeits-AG erzählt und sie eingeladen, eine der Techniken auszuprobieren. Die Aussicht, im Unterricht eigene Musik hören zu können, machte sie neugierig und brach – wieder einmal – das Eis. Ich erzählte kurz in drei Minuten etwas über den Sinn der Übung: über Präsenz, über Gedanken, die wir aus Vergangenheit oder Zukunft zurück in den Moment holen können und über die Folgen davon, das intensivere Erleben dessen, was wir gerade tun und das damit verbundene, nicht zu beschreibende Wohlgefühl. Wir absolvierten zwei Übungen. Nach der zweiten ließ ich die Klasse für einen Moment die Augen geschlossen zu halten und wies sie auf die friedvolle Stille hin, die uns –  31 Jugendliche und einen Lehrer – umhüllte. In diese Stille drang nach einer Minute die Pausenglocke vor, was mehrere Schüler zu einem spontanen, enttäuschten „Ooooooooh“ veranlasste…

Nachmittags war Mind the Music-AG und prompt tauchte Johanna, eine der Schülerinnen vom Morgen neu in der Gruppe auf. Sie machte die Übungen mit großer Teilnahme mit und hörte sich meine Erläuterungen sehr aufmerksam an. Ich schlug vor, wie sie die Technik des Gedankenzurückholens ganz einfach auf den Nachmittag, etwa auf den Moment des Erledigens von Hausaufgaben übertragen könnten:

„Ihr achtet auf euren Atem und verfolgt, wie er sich an der Bauchdecke bemerkbar macht. Beim Ausatmen entspannt ihr, beim Einatmen achtet ihr auf eure Körperhaltung. Dabei sendet ihr mit eurer inneren Stimme immer wieder das Signal ‚Ich sehe / ich lese‘ an euren Geist.  Sobald ihr bemerkt, dass eure Gedanken abgeschweift sind, was völlig normal ist, benennt ihr kurz, wo ihr seid („Facebook … meine Freundin X“) und kehrt mit einem neuerlichen ‚Ich sehe / ich lese‘ zurück zu dem, was ihr gemacht habt.“

Am nächsten Morgen in der Pause passte Johanna mich vor dem Lehrerzimmer ab. Ihre Augen leuchteten, sie lächelte und sagte: „Ich habe das gestern bei den Englischhausaufgaben ausprobiert. Es funktioniert!!! Darf ich nächste Woche wieder kommen?“

Pindo

To This Day

Von Jules, einer Leserin aus Toronto erreicht mich ein Hinweis auf  To This Dayein herzzerreißend-faszinierendes Projekt gegen Bullying an Schulen. Shane Koyczan, ein kanadischer Dichter mit einschlägiger Vergangenheit ist Urheber des Gedichts, das im Zentrum steht und unten graphisch umgesetzt wird. Jules, die als Psychologin in ihrer therapeutischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mindfulness mit großem Erfolg einsetzt, ist überzeugt, dass wir den Kids mit Achtsamkeit einen Schutzpanzer geben können, der sie die offene und versteckte Brutalität an unseren Schulen aushalten lässt. Danke für diese wunderbare Bestätigung. Pindo