„Wie schön mein Leben eigentlich ist“

Ich blättere in alten Texten und finde unverhofft eine unveröffentlichte Skizze für einen Blogeintrag aus dem Jahr 2020. Flashback in die schwere Zeit der Schulschließungen. Die Lektüre mutet fast surreal an. Die folgenden, leicht redigierten Passagen sind dreieinhalb Jahre alt.

“Zur traurigen Normalität in Covid-Zeiten gehört es, dass ganze Klassen für eine Woche in Isolation geschickt werden, wenn ein Kind sich infiziert hat und unklar ist, ob es Folgeinfizierungen geben könnte. Vergangene Woche erlitt eine unserer 7. Klassen dieses Schicksal.

Ich hatte ein paar Wochen zuvor auf Bitten der Klassenleitung den 32 Schülerinnen und Schülern eine kurze Einführung in die Achtsamkeit gegeben, die bei den Kindern auf großes Interesse stieß. Seitdem beginnen die Klassenleiterinnen ihre Stunden oft mit ein paar Minuten des Schweigens und berichten beeindruckt, wie lange das Innehalten dann anschließend in der Stunde noch im Verhalten der Schüler*innen nachwirkt.

Um die Klasse in der Quarantäne ein wenig moralisch zu unterstützen, lade ich die Schüler*innen zu einer Achtsamkeitssession per Videokonferenz ein. Ich bin sehr erstaunt, dass tatsächlich 17 Klassenmitglieder auftauchen. Wir wiederholen gemeinsam nochmals das Konzept von Achtsamkeit, wie ich es ihnen, entsprechend Shinzen Youngs Definition im Unified Mindfulness-System beigebracht hatte: „Achtsamkeit ist eine besondere Form der Aufmerksamkeit, die entsteht, wenn man drei Fertigkeiten miteinander kombiniert: Konzentration, Klarheit und Gelassenheit.“

Anschließend leite ich eine Übung an, bei der die Körperwahrnehmung im Vordergrund steht. Es ist eine Art Body Scan, aber im Sitzen, mit aufgerichteter Wirbelsäule, auf einem Stuhl – vielleicht die niedrigschwelligste Übung im schulischen Setting. Wir beginnen beim Kontakt der Füße mit dem Fußboden und richten dann nacheinander die Aufmerksamkeit auf verschiedene Körperregionen, Gesäß, Hände, Schultern, Mund mit Kiefergelenk, schließlich den Oberkörper, der sich sanft wiegt im Rhythmus des Atems.

Während der Übung blicke ich in 17 verschiedene Zimmer, in denen 17 junge Menschen mit geschlossenen Augen vor einem Bildschirm sitzen und sich darin üben, innezuhalten. Ein bewegender Anblick.

Anschließend lasse ich die Kids im Chat ihre Erfahrungen niederschreiben.

Ich bin müde geworden.

ich bin auch müde geworden

ich habe gespürt wie warm mir ist

Ich habe an nichts gedacht und vor allem nicht an Probleme

Ich hab es voll wahrgenommen, dass meine Hände warm sind

war müde

Ich wurde auch müde aber fühlte mich entspannt, als wäre ich aus meinem Körper raus gegangen.

Ich war sehr entspannt und habe irgendwie alles vergessen

Es war auch viel im Treppenhaus los aber ich hab es einfach ausgeblendet

Ich hatte manchmal ganz viele Gedanken auf einmal in meinem Kopf aber danach war es immer sehr ruhig und friedlich

Mein  Vater hat neben an auch eine Konferenz und ich habe es ausgeblendet

Ich war sehr ruhig, wer mich kennt weis das ich eigentlich nie ruhig bin

ich hab probiert alles auszublenden und einfach loszulassen

Ich hatte auch das Gefühl als ob ich schwebe

ich das ich fliege

Ich habe bemerkt wie schön mein Leben eigentlich ist und dass es mir gut geht

Danke das sie sich die Zeit genommen haben.

Ja

Danke

Ja danke!

Ja, sehr gern geschehen, Ihr Lieben. Auch ich bin dankbar, dafür, dass ich Euch daran erinnern kann, dass das Leben immer noch schön ist.

Pindo

Achtsame Grammatikstunde

In diesem Schuljahr unterrichte ich eine siebte Klasse in Spanisch. Wie all meine Lerngruppen habe ich auch diese recht bald mit Achtsamkeit in Kontakt gebracht. Seitdem sind achtsame Auszeiten im Unterricht fester Bestandteil unseres gemeinsamen Arbeitens. Auch nach mehr als zehn Jahren arbeite ich immer noch sehr gerne mit Soryu Foralls niedrigschwelligem Ansatz Mind the Music. Die Schüler*innen lieben es einfach, wenn sie im Unterricht die Möglichkeit haben, für einen Moment ihre Musik zu hören. Die Experimente mit Achtsamkeit – Fokus halten und wechseln, Kontakt mit Emotionen und Gedanken, Switch zwischen „außen hören“ und innen hören“ – machen sie da ganz nebenbei.

In anderen Momenten sitzen wir nur ein paar Minuten in Stille, machen eine kurze Reise durch unsere Körper, bemerken den Kontakt der Füße mit dem Fußboden, spüren das Gewicht unseres Körpers auf dem Stuhl, erkennen, dass wir Hände haben, nehmen den immer irgendwie vorhandenen Druck in unseren Schultern gelassen zur Kenntnis, denn ja, auch Siebtklässlerschultern tragen bereits niederdrückende, Verspannungen erzeugende Lasten…

Die Übungen enden in der Regel mit einem Atemraum, wie Susanne Krämer diese kurzen Atembeobachtungen in ihrem großartigen Buch Wache Schule nennt. Daran anschließend genießen wir dann gemeinsam noch einen Moment diese einzigartige, friedliche Stille, die entsteht, wenn eine Gruppe von Menschen sich gemeinsam dazu entscheidet, für ein paar Minuten gemeinsam zu schweigen. In der Schule, wo so oft durcheinander gebrüllt wird und oft Hektik pur herrscht, wirken solche Momente wie kostbare Perlen.

Vergangene Woche kam mir in diesem Moment gemeinsamer Stille spontan die Idee zu einem kleinen Experiment. Mit ruhiger Stimme bat ich die Schüler*innen für einen Moment die Augen zu schließen und ihre Gedanken ganz entspannt der vergangenen Stunde von vor zwei Tagen zuzuwenden. Ich bat sie zu schauen, ob sie sich an das Thema der Stunde erinnern konnten, brachte ihnen ins Gedächtnis, dass wir ein Tafelbild gemeinsam erarbeitet hatten und ließ sie sich an die neu eingeführten Formen erinnern. Dabei ermunterte ich sie immer wieder, auch den Atem zu beobachten, besonders ihr Ausatmen wahrzunehmen und sich klarzumachen, dass Ausatmen unweigerlich das Zwerchfell entspannt und dass sie, indem sie sich das klar machen, die Möglichkeit haben, die physische Entspannung auf ihren Geist zu übertragen.

Der Frieden im Raum wich einer entspannten Konzentration. Die meisten Schüler*innen hatten tatsächlich die Augen geschlossen und waren in ihre Gedanken vertieft. Nach ein paar Minuten beendete der Ton des Klangstabs die Übung, die Schüler*innen öffneten die Augen und begannen ruhig und bestimmt zu erzählen. Dabei ließen sie sich Zeit h,örten sich gegenseitig zu, reagierten aufeinander mit zustimmenden Äußerungen wie „Ach ja, genau“ Hier eine Rekonstruktion der Abfolge:

Es ging um Possessive.

Das sind Wörter, die Besitz ausdrücken, oder Zugehörigkeit.

Sie haben uns das englische Wort ‚to possess‘ genannt, es gibt auch das Wort ‚to own‘ aber ‚possess‘ heißt auch besitzen auf Englisch.

Die Formen sind mi / mis, tu / tus, su / sus, nuestro / nuestra , nuestros / nuestras, vuestro/ vuestra, vuestros / vuestras, su / sus.

Im Spanischen ist es in der ersten und zweiten Person anders als im Deutschen. wir sagen meine Mutter und mein Vater. Im Spanischen ist es nur mi …

Man muss aufpassen, dass man nuestro und vuestro nicht mit nosotros und vosotros verwechselt.

Ich war sehr beeindruckt, wie viel hängen geblieben war, lobte die Gruppe und schlug dann vor, dass wir mit ein paar vertiefenden Übungen zu den neuen Formen weiter machen könnten – und das taten wir dann auch.

Dieser aus dem Moment entstandene Unterrichtseinstieg widerspricht so ziemlich allem, was ich im Referendariat gelernt habe. Er ist nicht einsprachig, hat kein motivierendes Element, führt nicht direkt ins neue Stundenthema ein. Wenn ich diese Anforderungen schreibe, spüre ich Enge, Widerstand gegen die Hochleistungsdidaktik, die uns damals als perfektionistisches Ideal vermittelt wurde. Ganz anders meine Wahrnehmung bei der Erinnerung an diesen unprätentiösen Moment.

Menschen entspannen sich, genießen Ruhe, Entspannung, den Austausch miteinander und möchten lernen, einfach so, weil es ein Moment dafür ist.

Pindo

Fundstücke am Strand

Bei einem Strandspaziergang fällt mein Blick auf tausende kleine Objekte, die das Meer angeschwemmt hat. Mit jedem neuen Detail, das ich sehe, steigt meine Faszination für die Ästhetik der Natur. Die Fotos zeigen die Dinge so, wie ich sie vorgefunden habe.

Ich lade Sie ein, sich die Zeit zu nehmen, jedes Foto einzeln zu betrachten und meine visuelle Erfahrung am Strand nachzuvollziehen.

Pindo

Der Trick mit der Dankbarkeit

In der Achtsamkeits-AG fragte ich vor einigen Tagen einen Jungen aus der 9. Klasse, ob er eigentlich Achtsamkeit auch irgendwann im Alltag außerhalb unserer Treffen praktizierte. Er überlegte kurz und meinte dann: „Na ja, den Trick mit der Dankbarkeit wende ich öfters an“. Ich wusste zunächst nicht, was er meinte. Er erinnerte mich darauf hin an eine Sitzung, die wir im vergangenen Frühjahr hatten.

Damals erzählte ein Siebtklässler, er habe regelmäßig bei Klassenarbeiten Blackouts und fragte mich, was man in solch einer Situation tun könne. Ich überlegte kurz und schlug der Gruppe darauf hin spontan ein kleines Experiment vor:

Wir setzten uns aufrecht hin, und konzentrierten uns auf unseren Atem. Dann lud ich die Teilnehmenden ein, sich eine Situation zu vergegenwärtigen, in der sie einmal Angst hatten. Es sollte keine allzu dramatische Situation sein, vielleicht eine Klassenarbeit, in die sie mit unwohlem Gefühl gegangen waren. Wir malten uns die Situation unter Vergegenwärtigung aller Sinneswahrnehmungen aus und übten uns darin, die unangenehme Emotion im Körper so gelassen wie möglich zu spüren.

Dann bat ich die Anwesenden, sich ein Ereignis oder eine Person ins Gedächtnis zu rufen, für die sie dankbar waren. Wir verbrachten darauf ein paar Minuten, der Reihe nach solche Momente laut auszusprechen und erspürten die Emotion der Dankbarkeit in unseren Körpern. Schließlich leitete ich die Gruppe wieder zur Atembeobachtung zurück und beendete die Übung. Anschließend fragte ich die Teilnehmenden nach ihren Erfahrungen: Alle waren dazu in der Lage gewesen, sich über die Visualisierung eines unangenehmen Momentes mit dem Gefühl von Angst zu verbinden und sie im Körper zu spüren, und bei allen war nach der Dankbarkeitsmeditation von dieser Angst nichts mehr übrig geblieben. Die Schüler waren beeindruckt.

Darauf erläuterte ich ein wenig die Hintergründe: Als Säugetiere reagieren wir in Angstsituationen instinktiv mit einer Schockstarre. Vor tausenden von Jahren konnte uns diese Reglosigkeit vielleicht davor bewahren, dass uns ein Raubtier entdeckte. Heute dagegen hilft sie bei Prüfungsangst überhaupt nicht weiter. Die Lähmung führt mental dazu, dass unser Zugang zum Gedächtnis vorübergehend versperrt ist und wir die gelernten Wissensbestände nicht abrufen können. Meine These war nun: Wenn wir die Angst über die Fokussierung positiver, mit Dankbarkeit verbundener Erinnerungen gleichsam durchtränken und so abschwächen, dann können wir den Klammergriff lösen und erlangen so den Zugang zum Gelernten zurück. Ich bat die Teilnehmenden, das mal bei einer der nächsten Prüfungen auszuprobieren.

Nach der Sitzung waren bald Sommerferien. Bedingt durch meine neue Funktion als stellvertretender Schulleiter konnte die AG einige Male nicht stattfinden. Und nun erfahre ich Monate später ganz beiläufig: „Der Trick mit der Dankbarkeit funktioniert!“

Pindo

Ein spätsommerliches Abendpicknick auf dem Tempelhofer Feld mit Freunden.
Ein Moment, für den ich dankbar bin.

Crepúsculo

… ist das spanische Wort für die Abenddämmerung. Für mich passt sein geheimnisvoller Klang gut zur magischen Stimmung dieser Stunde zwischen Licht und Dunkelheit.

Die Fotos entstanden Anfang Februar auf dem Monte Facho, einem hohen Granitfelsen an der Steilküste, die den westlichen Rand der Halbinsel Morrazo, im Süden Galiciens. begrenzt.

Abendspaziergang im November

Vier Wochen und 2800 km liegen zwischen den Abendlichtspielen im letzten Post und diesen Aufnahmen, die gestern auf der Domäne Dahlem zur Stunde des Sonnenuntergangs entstanden.

Krähengeschrei in schon winterlich kahlen Bäumen …

Pfützen, die im spiegelnden Sonnenuntergang Seen gleichen,

Wolkenlandschaftsgemälde,

Urwälder von Grünkohl

und Gräsersilhouetten…

Auch der November in Berlin kann verzaubern, wenn man sich auf ihn einlässt.

Pindo

Abendlichtspiele

Vergangene Woche war ich mit meinem lieben Freund Matthias in Galicien wandern. Eines Nachmittags erklommen wir den Monte Paralaia auf der Halbinsel Morrazo. Vom dortigen Gipfel hat man den herrlichsten Blick auf die Bucht von Vigo.

Am Cruz do Xestoso, oberhalb von Moaña

Der Rückweg führte uns auf jahrhundertealten Hohlwegen durch einen Wald, in dem das Licht der untergehenden Sonne von Minute zu Minute neue Stimmungen zauberte.

Und als wir aus dem dichten Wald heraus taten, begrüßte uns inmitten der Farben der letzten Abendröte der Mond.

Welch ein Geschenk, diese Woche mit Dir, lieber Freund.

Pindo

Pindo bei „Wir für Schule“

Die Pandemie hat viele Menschen dazu gebracht, Althergebrachtes in Schulen zu hinterfragen und neue Wege einzuschlagen. Eine sehr spannende Initiative ist dabei WIR FÜR SCHULE, die seit einem Jahr ein Online-Forum für tausende Interessierte*r geschaffen hat, wo Innovationen vorbereitet werden.

In diesen Tagen läuft der zweite große Hackathon (eine Neuschöpfung aus Hacker und Marathon), wo unter dem Slogan LASST UNS ZUKUNFT IN DIE SCHULE BRINGEN, Bildung spannend neu gedacht wird.

Kürzlich hatte ich die Ehre, an einem Community Panel von Wir für Schule teilzunehmen, auf dem ich von meiner Achtsamkeitsarbeit in der Schule erzählen durfte. Mit dabei war Ricarda Priebe, eine meiner ehemaligen Schülerinnen, die seit mehr als sechs Jahren regelmäßig in meiner AG Achtsamkeit praktiziert sowie Susanne Krämer von der Uni Leipzig und Madlen Neubauer, eine ihrer Studentinnen.

Mit Susanne darf ich nun schon im zweiten Jahr gemeinsam an der Lehrenden-Fortbildung Wache Schule als Trainer mitwirken. Wache Schule basiert auf dem gleichnamigen, wunderbaren Buch von Susanne, das ich hier bereits ausführlich vorgestellt habe.

Das Community Panel beginnt mit einer interessanten Einführung in die Wirkung von Achtsamkeit durch Susanne Krämer (ab ca. 5:00). Ab 30:00 berichtet meine Schülerin Ricarda davon, welche Bedeutung Achtsamkeit für sie hat. In meinem eigenen Eingangsstatement (ab ca. 35:00) berichte ich unter anderem davon, wie Achtsamkeit meinen Blick auf die Lehrerrolle verändert hat. Im Anschluss entwickelt sich ein wirklich interessantes Gespräch zu dem Thema.

Pindo

Die Neuen Schulen

Übermorgen beginnt ein spannender Online-Kongress unter dem Titel Die Neuen Schulen – Lernen braucht Beziehung.

Die Covid-Krise hat durch das, was fehlt, nochmals deutlich gemacht, worin Schule ihre wirklichen Stärken hat: in der Beziehung zwischen den an ihr beteiligten Menschen.

Der Initiator Andreas Reinke lädt alle Lehrkräfte und Eltern zu diesem kostenlosen, inspirierenden Treffen ein.

Dabei geht es auch um das Thema Empathie und Achtsamkeit in der Schule mit einem Beitrag von Susanne Krämer (Uni Leipzig), mit der ich in den vergangenen Monaten im Rahmen der wunderbaren Fortbildung Wache Schule zusammenarbeiten durfte.

Mein Tipp: Anmelden und sich inspirieren lassen.

Pindo