„Was tue ich, wenn ich lernen möchte, die Tuba zu spielen?“
Mit dieser Frage leitete Soryu Forall auf einem Retreat vergangene Woche in Lüneburg-Heiligenthal eine Reflexion ein, die mich immer noch elektrisiert. Die Antwort ist einfach: „Ich spiele die Tuba!“ Die sich anschließende Frage lautet: „Und was muss ich tun, wenn ich lernen möchte, mich zu konzentrieren? – Na klar, ich konzentriere mich!!
Verblüfft Sie die Analogie? Mich inzwischen nicht mehr. Ich habe in den vergangenen Monaten erfahren, dass Konzentration tatsächlich nicht etwa eine FÄHIGKEIT ist, die einige Menschen aus mysteriösen Gründen mehr haben als andere. Es handelt sich vielmehr um eine FERTIGKEIT, die man relativ einfach erlernen kann, indem man sie immer wieder aufs Neue trainiert.
Den Weg hierzu kann etwa Modern Mindfulness weisen, ein Training zur achtsamen Wahrnehmung für Jugendliche , das auf Shinzen Youngs Ansatz der Basic Mindfulness basiert.
Shinzen Young erklärt achtsames Wahrnehmen als das Zusammenwirken der drei Faktoren Konzentration, Klarheit und Gelassenheit.
Unter Konzentrations-Kraft können Sie sich die Fähigkeit vorstellen, das zu fokussieren, was Sie zu einer bestimmten Zeit für relevant halten. Unter Sinnes-Klarheit können Sie sich die Fähigkeit vorstellen, den Überblick über das zu behalten, was Sie im jeweiligen Moment erfahren. Unter Gelassenheit können Sie sich die Fähigkeit vorstellen, den Sinnes-Erfahrungen zu erlauben zu kommen und gehen, ohne sie abzulehnen oder zu unterdrücken. (Shinzen Young, 5 Wege sich selbst besser kennen zu lernen, S. 9, Übersetzung: Sabine Heggemann)
Das Trainieren der Konzentrationskraft ist vom Prinzip her sehr einfach: Ich wähle einen oder mehrere Bereiche meines Wahrnehmungsapparats (Sehen-Hören-Fühlen), richte ihn/ sie auf ein Objekt oder ein Ereignis innerhalb oder außerhalb von mir und halte die gewählte Wahrnehmung so gelassen wie möglich aufrecht.
Mögliche Objekte der Wahrnehmung sind all die Dinge, die wir außerhalb von uns sehen, hören und fühlen, unsere Körperwahrnehmungen sowie unsere Gedanken (in Form innerer Bilder und Stimmen) und Emotionen.
Stelle ich schließlich fest, dass meine Gedanken begonnen haben, in die Vergangenheit oder Zukunft zu wandern, was in der Regel sehr schnell passiert, nehme ich dies ruhig zur Kenntnis und kehre gelassen zum Objekt der Betrachtung zurück.
Dies ist der Kern des Konzentrierens als Lernvorgang: Ich fokussiere, werde abgelenkt, nehme dies wahr und kehre gelassen zum Fokus zurück, werde wieder abgelenkt, nehme wahr, kehre zurück, zehnmal, hundertmal, tausendmal, …
Soryu erwähnt in seiner Reflexion zwei weitere wichtige Punkte:
- Konzentration als Fertigkeit nimmt auf exponentielle Weise zu. So hat man zunächst kaum den Eindruck, dass sich etwas ändert, mit der Zeit intensiviert sich die Konzentrationskraft dann aber in immer kürzerer Zeit immer mehr.
- Das Konzentrieren im beschriebenen Sinne erzeugt eine positive Feedbackschleife, die beim Übenden ein intensives Wohlgefühl auslöst. Konzentrierte Menschen sind also glücklicher.
Überlegen Sie bitte für einen Moment, wie oft Sie in Ihrem Leben als Eltern, Töchter, Söhne, Lehrer/innen oder Schüler/innen schon folgenden Satz gehört oder selbst gesagt haben: „Mensch, jetzt konzentrier dich doch mal!“ – meist begleitet von einer ziemlich ausgeprägten Ungeduld.
ABER: Hat Ihnen jemals ein Menschen gezeigt, wie das geht – oder haben Sie dies getan?
Eingangs schrieb ich, dass mich Soryus Frage zum Tubaspielen elektrisiert hat. Warum? Für mich ist die Erkenntnis zum „Konzentrieren lernen“ vielleicht die wichtigste in meinem Lehrerdasein. Seitdem ich mit meinen Schülerinnen und Schülern und inzwischen auch einigen Kolleginnen und Kollegen Achtsamkeit übe, erfahren wir alle Tag für Tag, wie gut dies tut, uns und unserer Umwelt.
Achtsamkeit enthüllt hier ihre wahrlich transformierende Kraft.
Pindo.
Lieber Pindo, hab Dank für deinen wie immer erhellenden Beitrag, diesmal zur Konzentration. Es gibt eine Diskussion um die Frage: Wenn ich meditiere, konzentriere ich mich dann? Ich würde sagen, wenn wir uns immer wieder auf den Atem focussieren, ist das eine Art von Konzentrationsübung innerhalb der Versenkung. Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass es Formen und Schulen definitiver Konzentrations-Meditation gibt. Dabei wird während der Meditation der Geist immer wieder auf ein bestimmtes Objekt gelenkt, z.B. ein Mandala, oder ein Mantra, oder eine Koan-Frage (im Zen). Diese Konzentrations-Meditation unterscheidet sich von der Meditation des „Offenen Gewahrseins ohne Objekt“, wie sie z.B. im MBSR praktiziert wird, oder im Soto-Zen (einer bestimmten Zen-Schule). Beim ersten ist also das Focussieren der Mittelpunkt, beim zweiten eben gerade nicht. Und was ist dann? Wir könnten das Thema ja bei einem unserer Folge-Meditations-Treffen mal in die Runde werfen, was meinst du? Beste Grüße KW
Karin Wolf kontakt@karin-wolf.net Tel. +49/ (0)30 / 614 11 15 Mobil (0)170 / 837 41 48 http://www.mbsr-berlin.net
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Liebe Karin,
vielen Dank für den klärenden Kommentar. Mir ist die Bedeutung der Frage, die du aufwirfst, bewusst. Beim Reflektieren über meine eigene Praxis kam mir immer wieder die Frage, ob nicht die Konzentration auf den Atem gerade den achtsamen Blick auf das Ganze im Sinne des „Offenen Gewahrseins ohne Objekt“ unnötig begrenzt.
Für mich bietet Shinzen da einen sehr hilfreichen Zugang: Konzentration als die Fertigkeit, das aktuell Bedeutsame in den Mittelpunkt zu stellen. Klarheit im Anschluss als die Fertigkeit, es voller Klarheit wahrzunehmen.
Ist dies nicht eine Definition, die beides umfassen kann: Einerseits, das, was du als den Gegenstand der Konzentrations-Meditation darstellst, wie zB den Atem, ein Mantra oder ein Mandala. Andererseits aber auch das offene Gewahrsein … vielleicht nicht ohne Objekt, sondern eher der Fülle aller Objekte, die von Moment zu Moment nacheinander oder auch simultan im Bewusstsein auftauchen und wieder verschwinden und die es nun gilt, klar wahr zu nehmen?
Diese letzten Gedanken sind meine eigenen. Ich weiß nicht, ob ich Shinzen da angemessen wiedergebe. Pindo
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