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Die Reise

An diesem Wochenende fand die MBSR-Jahrestagung in Leipzig statt. Ich traf dort inspirierende Menschen, erhielt sehr wertvolle Anregungen für die eigene Praxis und meine Achtsamkeitsarbeit mit den Schülern – und lernte das folgende Gedicht von Mary Oliver kennen…

Pindo

Die Reise

Eines Tages wusstest du endlich,
was zu tun war, und hast begonnen,
obwohl die Stimmen um dich herum
dir weiter ihren schlechten Rat zuriefen –
obwohl das ganze Haus
zu zittern begann
und du wieder spürtest
wie etwas an deinen Knöcheln zog.
„Mach mein Leben besser!“
riefen sie alle.

Aber du bist nicht stehen geblieben.
Du wusstest, was du zu tun hattest,
obwohl der Wind
mit seinen steifen Fingern
an den tiefsten Fundamenten rüttelte,
obwohl ihre Trauer
so schrecklich war.
Es war schon spät
genug, und eine stürmische Nacht,
und der Weg war voll von herabgefallenen
Zweigen und Steinen.

Aber Schritt für Schritt,
während du ihre Stimmen hinter dir ließest,
begannen die Sterne
durch die Wolkendecke zu glühen,
und da war eine neue Stimme,
die du langsam
als deine eigene erkanntest,
die bei dir blieb,
als du tiefer und tiefer
in die Welt gingst,
dazu bestimmt,
das einzige zu tun, was du tun konntest –
dazu bestimmt,
das einzige Leben zu retten, das du retten konntest.

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The Journey
One day you finally knew
what you had to do, and began,
though the voices around you
kept shouting
their bad advice –
though the whole house
began to tremble
and you felt the old tug
at your ankles.
„Mend my life!“
each voice cried.

But you didn’t stop.
You knew what you had to do,
though the wind pried
with its stiff fingers
at the very foundations,
though their melancholy
was terrible.
It was already late
enough, and a wild night,
and the road full of fallen
branches and stones.

But little by little,
as you left their voices behind,
the stars began to burn
through the sheets of clouds,
and there was a new voice
which you slowly
recognized as your own,
that kept you company
as you strode deeper and deeper
into the world,
determined to do
the only thing you could do –
determined to save
the only life you could save.

Mary Oliver

Schule ist Leben

Schule, das ist … Lärm … Eile … Hektik … Gewusel … Ansprüche … Termine … Auseinandersetzungen … Ärger … Enttäuschung … Wut …

Viele Menschen, die mit Schule zu tun haben – als Lehrer, Schüler, Eltern – reduzieren Schule darauf. Die Medien tragen ihren Teil dazu bei, dieses Bild zu verfestigen. Überall ist die Rede von Unfähigkeit und Unzulänglichkeit, Versagen. Je nach politischer Couleur des Schreibenden sind die Unfähigen pauschal die Schüler, die Eltern, die Lehrer, die Politiker, die Bildungsforscher, die Unesco, unsere Gesellschaft, die den Bach runtergeht, das unfähige Land Berlin, das noch nicht mal einen Flughafen bauen kann, kein Wunder bei solch einem Bildungssystem…

Alle urteilen in jedem Moment über alles, zementieren ihre jeweiligen Wahrheiten und verstecken sich in ihren Schützengräben.

Die Folgen dieses Vorgehens sind gravierend: Solange ich so denke, kann ich nicht begreifen, dass dieser Blick auf Schule unangemessen reduziert ist: Schule ist so sehr viel mehr!

Letztlich ist sie die Summe aller Erfahrungen und Emotionen, die wir mit und in ihr wahrnehmen, ein Dschungel, mit vielen Schattenbereichen und eben so vielen sonnendurchfluteten Lichtungen. Für uns, die wir mit Schule täglich zu tun haben, ist sie nichts anderes als ein wichtiger Teil unseres Lebens.

Seitdem ich von Achtsamkeit weiß, d.h. von der Möglichkeit, den jeweiligen Moment urteilsfrei wahr- und anzunehmen, gelingt es mir viel besser, dies zu erkennen und diesen Teil meines Lebens wert zu schätzen. Ich erlebe nach wie vor Lärm, Eile, Ärger, … bemühe mich nun aber darum, sie so genau wie möglich wahrzunehmen und mich in ihnen zu erfahren. Und ich erkenne mit größerer Leichtigkeit all die vielen flüchtigen Glücksmomente, die Schule bietet und erlebe sie intensiver.

Ich werde in der nächsten Zeit darüber berichten, wie ich mir in den vergangenen Monaten Verhaltensweisen angewöhnt habe, die mir Momente der Achtsamkeit bescheren, und die auf ganz unspektakuläre Weise meine Alltagserfahrung von Schule transformiert haben.

Pindo