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Der Trick mit der Dankbarkeit

In der Achtsamkeits-AG fragte ich vor einigen Tagen einen Jungen aus der 9. Klasse, ob er eigentlich Achtsamkeit auch irgendwann im Alltag außerhalb unserer Treffen praktizierte. Er überlegte kurz und meinte dann: „Na ja, den Trick mit der Dankbarkeit wende ich öfters an“. Ich wusste zunächst nicht, was er meinte. Er erinnerte mich darauf hin an eine Sitzung, die wir im vergangenen Frühjahr hatten.

Damals erzählte ein Siebtklässler, er habe regelmäßig bei Klassenarbeiten Blackouts und fragte mich, was man in solch einer Situation tun könne. Ich überlegte kurz und schlug der Gruppe darauf hin spontan ein kleines Experiment vor:

Wir setzten uns aufrecht hin, und konzentrierten uns auf unseren Atem. Dann lud ich die Teilnehmenden ein, sich eine Situation zu vergegenwärtigen, in der sie einmal Angst hatten. Es sollte keine allzu dramatische Situation sein, vielleicht eine Klassenarbeit, in die sie mit unwohlem Gefühl gegangen waren. Wir malten uns die Situation unter Vergegenwärtigung aller Sinneswahrnehmungen aus und übten uns darin, die unangenehme Emotion im Körper so gelassen wie möglich zu spüren.

Dann bat ich die Anwesenden, sich ein Ereignis oder eine Person ins Gedächtnis zu rufen, für die sie dankbar waren. Wir verbrachten darauf ein paar Minuten, der Reihe nach solche Momente laut auszusprechen und erspürten die Emotion der Dankbarkeit in unseren Körpern. Schließlich leitete ich die Gruppe wieder zur Atembeobachtung zurück und beendete die Übung. Anschließend fragte ich die Teilnehmenden nach ihren Erfahrungen: Alle waren dazu in der Lage gewesen, sich über die Visualisierung eines unangenehmen Momentes mit dem Gefühl von Angst zu verbinden und sie im Körper zu spüren, und bei allen war nach der Dankbarkeitsmeditation von dieser Angst nichts mehr übrig geblieben. Die Schüler waren beeindruckt.

Darauf erläuterte ich ein wenig die Hintergründe: Als Säugetiere reagieren wir in Angstsituationen instinktiv mit einer Schockstarre. Vor tausenden von Jahren konnte uns diese Reglosigkeit vielleicht davor bewahren, dass uns ein Raubtier entdeckte. Heute dagegen hilft sie bei Prüfungsangst überhaupt nicht weiter. Die Lähmung führt mental dazu, dass unser Zugang zum Gedächtnis vorübergehend versperrt ist und wir die gelernten Wissensbestände nicht abrufen können. Meine These war nun: Wenn wir die Angst über die Fokussierung positiver, mit Dankbarkeit verbundener Erinnerungen gleichsam durchtränken und so abschwächen, dann können wir den Klammergriff lösen und erlangen so den Zugang zum Gelernten zurück. Ich bat die Teilnehmenden, das mal bei einer der nächsten Prüfungen auszuprobieren.

Nach der Sitzung waren bald Sommerferien. Bedingt durch meine neue Funktion als stellvertretender Schulleiter konnte die AG einige Male nicht stattfinden. Und nun erfahre ich Monate später ganz beiläufig: „Der Trick mit der Dankbarkeit funktioniert!“

Pindo

Ein spätsommerliches Abendpicknick auf dem Tempelhofer Feld mit Freunden.
Ein Moment, für den ich dankbar bin.

Achtsamer Umgang mit Prüfungsangst

Herbstfarbener Schulhof

Bei uns am Gymnasium stehen viele unserer Schülerinnen und Schüler unter großem Druck. Nach langer Zeit bin ich in diesem Schuljahr mal wieder Klassenlehrer in einer 7. Klasse und bekomme dort mit, wie angespannt die Kinder darauf reagieren, dass das 7. Schuljahr ein Probejahr ist – für sie also eine chronische Prüfungssituation.

Achtsamkeit biete mir da gute Möglichkeiten, meine Klasse dabei zu begleiten, den Anforderungen mit mehr Gelassenheit zu begegnen. Vor ein paar Wochen fiel mir dabei spontan eine Übung ein, die ich hier vorstellen möchte.

Wir befanden uns in der letzten Stunde vor der ersten Spanisch-Klassenarbeit. In solchen Stunden biete ich den Schüler*innen immer an, letzte offenen Fragen zu klären und die in der Arbeit relevanten Aufgabenformate zu trainieren. Diesmal kam mir zudem die Idee, das Thema Prüfungsangst aufzugreifen und nutzte dazu das Achtsamkeitsritual, mit dem wir unsere Stunden beginnen. Dabei handelt es sich in der Regel um eine Spielart der Sitzmeditation, wobei der Fokus, der uns als Anker für unsere Aufmerksamkeit dient, immer wechseln kann. Diesmal erläuterte ich vorweg, dass wir mit der bekannten Atembeobachtung beginnen würden und dass ich anschließend einen Satz aussprechen würde und sie dann die Aufgabe hätten, ihre Gedanken und Gefühle zu diesem Satz zu beobachten. Der Klangstab läutete die Meditationsphase ein, die Klasse kam zur Ruhe und begann, geleitet durch meine Worte, mit der Atembeobachtung. Nach einigen Momenten sagte ich:

„Und nun der Satz: MORGEN SCHREIBT IHR EURE ERSTE SPANISCHARBEIT!“

„Achtet auf Eure Gedanken. Wie zeigen sie sich Euch? SEHT Ihr etwas auf Eurem mentalen Bildschirm? Oder HÖRT Ihr, dass Ihr mit Euch selbst redet? Vielleicht hört Ihr auch die Stimme einer anderen Person?

Und nun sagt Euch den Satz nochmals mit Eurer inneren Stimme: „MORGEN SCHREIBE ICH MEINE ERSTE SPANISCHARBEIT“. Jetzt achtet Ihr ganz bewusst darauf, welche Emotionen dieser Satz in Euch auslöst…

Wo genau fühlt Ihr die Emotionen? Was genau fühlt Ihr?

Hat die Emotion einen Namen? Hat sie eine Farbe? Eine Form? Bewegt sie sich vielleicht?

Und nun lasst Eure Gedanken und Eure Emotionen los und wechselt den Fokus, so als ob wir den Lichtkegel einer Taschenlampe in einem dunklen Raum auf etwas anderes richten und nehmt Eure Füße ins Visier, die auf dem Boden stehen. Spürt Eure Füße, ihren Kontakt mit dem Boden. Spürt wie der Boden Euch trägt.

Nehmt nun die Wahrnehmung des Stuhls dazu. Spürt wie Euer Körper dort aufliegt, wie Euer ganzes Gewicht von Stuhl und Boden sicher getragen werden.

Und nun experimentiert einmal damit, hin und her zu schalten, zwischen Euren Gedanken, Euren Emotionen, die mit Euren Gedanken in Verbindung stehen und der Wahrnehmung Eures Unterkörpers.

Die meisten Menschen spüren im unteren Körperbereich keine Gedanken und nur ganz wenige Emotionen. Und wenn sie diese Körperregion fokussieren, dann verlieren die Gedanken und Emotionen ein wenig von ihrer Kraft und ihrem Einfluss. Wie ist das bei Euch? Trainiert mal so noch ein wenig weiter.

Nachdem der Klangstab die Übungsphase beendet hat, beginnt ein interessantes Gespräch, in dem die Schülerinnen und Schüler mit großer Begeisterung von ihren Erfahrungen berichteten, von bildhaften Gedanken, wie dem Moment, in dem der Lehrer die Arbeiten austeilt, von gehörten Gedanken, Stimmen, die etwa sagten, wie viel noch zu lernen war, von Aufregung, Angst und Stress, die durch solche Gedanken ausgelöst wurden und von Körperregionen, in denen sie zu spüren war, von neutralen Körperbereichen, die sie so noch nie wahrgenommen haben, von Körperhaltungen, die sich veränderten bei der Verschiebung des Fokus und von Atembewegungen, die langsamer wurden.

Eine der großartigen Konsequenzen, die die Achtsamkeitsarbeit für meinen Unterricht hat, ist die, dass sie mir und meinen Schüler*innen eine gemeinsame Sprache zur Verfügung stellt, mit der die Kinder und Jugendlichen Phänomene oft zum ersten Mal in ihrem Leben benennen und ihnen so Form geben können und dass sie die Erfahrung machen, dass Dinge, die man so ausspricht, weniger bedrohlich wirken und leichter zu ertragen sind.

Zudem löst die Erfahrung, solche Themen eigener Verletztlichkeit im Klassenverband besprechen zu können und von anderen Bestärkung statt Hohn zu erfahren, einen starken Impuls für die Klassengemeinschaft aus.

Wieder einmal zeigt sich: Achtsamkeit und Gymnasium – ja das geht, unbedingt.

Pindo