Schlagwort-Archive: Anfängergeist

A newbie in Sydney

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Anfänger nennen die Australier newbies. Ich bin ein newbie hier in so vielen Dingen. Ich sehe und höre um mich und staune, und ich sehe und lausche in mich hinein und staune noch mehr über meine heftigen Reaktionen, zum Beispiel über den Ärger, wenn ich 50 Minuten auf einen Bus warte und ich empört den ach so schrecklichen Nahverkehr hier mit unserer paradiesischen (?) Berliner BVG und den S-Bahnen vergleiche oder wenn ich an einem Randstein stolpere, weil die Bürgersteige hier so ganz anders sind, als ich es gewohnt bin und sich ein Fluch Bahn bricht. Oder wenn ich ein Auto fahre und immer wieder aufs Neue den Scheibenwischer bediene anstatt den Blinker…

Dann stehe ich neben mir, betrachte meine Emotionen, wie sie sich zunächst immer weiter hoch schaukeln, bis plötzlich ein amüsiertes Lächeln die Oberhand gewinnt, wenn mir klar wird, wie schwer ich mich doch dabei tue, meine gewohnten Bahnen zu verlassen. Selbst eine hoch zivilierte Stadt wie Sydney wird da zur großen, exotischen Herausforderung.

In der Achtsamkeit spricht man vom „Anfängergeist“. Sie ist eine der grundlegenden Haltungen, die es zu üben gilt. In den Kursen von Fokus Achtsamkeit lehren wir, dass es darum geht, das ganze Leben, jede einzelne Situation, als Lerngelegenheit wahr- und anzunehmen. Seit 10 Wochen kann ich mich nicht über den Mangel an Lerngelegenheiten beklagen. Das Leben bietet sich mir so prall, dass ich einfach überwältigt bin, abends todmüde, nachts dafür oft hellwach. Ich verbringe so viel Zeit damit, einfach nur wahrzunehmen, zu sehen, hören und fühlen, dass bisher kaum Zeit bleibt, es zu reflektieren. Deshalb auch die Schreibpause in den vergangenen Wochen.

Und dennoch: Trotz aller Unsicherheit und all der heftigen Reaktionen… Ich fühle, dass ich genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin und dafür bin ich dankbar.

Pindo

 

Ein kleiner Junge am Strand von Kühlungsborn

Beim Spaziergang am wundervollen Strand von Kühlungsborn experimentierte ich vergangene Woche mal wieder mit meditativem Sehen. Ich lief parallel zum Wasser, genau an der Stelle, wo die Wellen aufs Land trafen und fokussierte, entsprechend Shinzen Youngs Terminologie aus Basic Mindfulness „Sehen Außen“, das heißt, meine visuelle Wahrnehmung der Außenwelt.

Noch Minuten zuvor war ich  in enttäuscht wertenden Gedanken darüber gefangen, wie wenige Muscheln man hier an der Ostsee doch fand.  Meine Wahrnehmung des gegenwärtigen Moments wurde dadurch deutlich gedämpft.  Doch nun traten die Farben und Formen der Steine unter meinen Füßen immer stärker in mein Gewahrsein. Mein urteilender Geist kam zur Ruhe und ich begann, Stein um Stein in die Hand zu nehmen und jeden einzelnen in seiner individuellen Form, Farbe und Textur zu würdigen. Mit jedem neuen Exemplar intensivierte sich meine Wahrnehmung weiter. Ich tauchte ein in ein Universum aus Rot- Braun-, Gelb- und Grautönen, Kanten und Rundungen und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Nach einer Stunde wogen meine Jackentaschen schwer unter den vielen Steinen, die ich mit nach Hause nehmen wollte, Steine, denen ich sonst vermutlich keine größere Beachtung geschenkt hätte.  Doch nun war ich erfüllt von der inneren Haltung des Anfängergeistes, ein kleine Junge, der zum ersten Mal am Meer  – und vollkommen überwältigt ist.

Pindo

Am Strand von Kühlungsborn